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Lesenswert!! 13 Mai 2005 10:00 #78495

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Folgenden Artikel fand ich im Tagesspiegel.

Da ich nicht weiß, wie lang der link noch aktiv ist, habe ich den Text noch unten angehängt (ziemlich lang, aber interessant...)

www.tagesspiegel.de/dritte-seite/index.a....05.2005/1801927.asp


Bei Anruf Leben

Eine Frau stirbt, ein Telefon klingelt, ein todkranker Mann hofft auf ein gesundes Organ. Die Reise einer Leber von Linz nach Berlin

Von Deike Diening

Ein später Sonntagnachmittag in Berlin. Was man so macht. Der Chirurg Olaf Guckelberger schaut mit seiner Tochter „Spiderman IIâ€?, die Chirurgin Inga Husmann läuft um den Schlachtensee, der Chirurg Sidan Kalmuk zappt sich durchs Fernsehprogramm. Thomas Mehlitz, Transplantationskoordinator, schickt sich an, das Abendessen einzunehmen, und zwei Piloten einer Turboprop King Air B200 glauben, es wird eine ruhige Bereitschaft. Im österreichischen Linz stirbt eine Frau. Hirntod. Um 18 Uhr 32 erreicht der Anruf von Eurotransplant die Charit?© in Berlin. Ein Leberangebot. Eurotransplant regelt die Vermittlung von Organen zwischen Deutschland, Österreich, Slowenien und den Beneluxländern. Bei den Berlinern steigt der Adrenalinspiegel. Denn auf der Schwelle zwischen Leben und Tod kann man immer noch mit dem Tod über die Herausgabe einzelner Güter in Verhandlung treten. In einer Klinik der Charit?© hört ein Mann mit Lebertumor auf zu essen. Er muss jetzt nüchtern bleiben, vorsichtshalber. Er wird, wenn alles gut geht, am nächsten Morgen um fünf operiert. Die drei Chirurgen und der Transplantationskoordinator verabreden sich in einer Stunde am Flughafen Tempelhof, Seiteneingang, Ambulanzflug, zwei Propeller, die ausgeklappte Gangway berührt den Boden nicht.

Bei dem Tollwut-Fall Anfang des Jahres waren alle erstaunt, wie so etwas geht: Eine Spenderin hat sich, ohne es zu wissen, auf einer Indienreise mit dem Tollwut-Virus infiziert und war nach einem Herzstillstand gestorben. Niemand hatte den Virus erkannt, sonst hätten wohl nicht sechs Menschen Organe von ihr erhalten: Augenhornhäute, Lunge, Leber, Bauchspeicheldrüse, Nieren. Im Februar stirbt dann ein Patient in Hannover und einer in Hannoversch-Münden, Ende März der dritte in Marburg. Es war ein Skandal, das mit der Tollwut, die als Infektionskrankheit in Deutschland eigentlich nicht vorkommt – aber ist nicht die eigentliche Sensation, wie ein Mensch nach seinem Tod in sechs weiteren Menschen weiterlebt?

Am Anfang steht ein Mensch. Am Ende steht ein Mensch. Dazwischen reist ein Organ von dem Körper des einen in den Körper des anderen. In seinem Leib produziert die Leber eines anderen Galle. Es ist Routine. Es ist riskant. Und wo können Fehler passieren?

„Beim letzten Mal in Linz, da hatte die Crew Linzer Torte für uns besorgt – da müssen Sie sich schon anstrengenâ€?, ruft Thomas Mehlitz, der Transplantationskoordinator, den Piloten zu. Die Maschine nimmt Anlauf ins Dunkel. Sie hat eine Minibar. Eigentlich ist sie gemacht für Geschäftsleute, Politiker und Musiker – „Windrose Air. Entspannter kann man nicht reisenâ€?. Grüne Ledersitze und kugelrunde Messinglampen. Komfort für die Lebenden, Eis für die Toten.

Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, aber die Läufer geraten selten außer Atem. „Allerdings haben wir alle schon Beinahe-Unfälle gebaut.â€? Mehlitz war in Spanien, Norwegen, Irland, England und Israel. Er ist in Tschechien beinahe vor einen Brückenpfeiler gefahren und im Nebel hilflos über Flughäfen gekreist. Jede Pause nutzt das Team zum Schlafen. 20 Uhr 45 Abflug in Berlin, 75 Minuten Flugzeit, um 23 Uhr Schnitt, um eins soll ein Team aus Hannover dazukommen, das sich für die Lunge interessiert, um fünf Uhr Anästhesiebeginn in Berlin, das ist der Plan. Thomas Mehlitz hat ihn ausgeheckt; inklusive Flugzeug, Rettungstransporten und OP-Reservierung hat er eine halbe Stunde gebraucht. Mehlitz, der Zuverlässigkeit ausstrahlt und dem man jederzeit den eigenen Hausschlüssel anvertrauen würde, Mehlitz also ist ein Schwellenwächter, auf der Linie zwischen Leben und Tod.

Mehlitz und seine Koordinatorenkollegen gehören zur Charit?©, Virchow-Klinikum. Sie arbeiten auf ein paar Quadratmetern im ersten Stock eines Gebäudes an der Amrumer Straße, und wenn man sie besucht, servieren sie einen ironischen „Herztodkaffeeâ€?. Dies ist eines von 50 Transplantationszentren in Deutschland. Mehlitz und seine Leute organisieren Logistik, Transport und OP-Säle für die Kliniken der Charit?© und auch anderer Städte, falls die an der jeweiligen Transplantation beteiligt sind, und sie arbeiten zusammen mit der Deutschen Stiftung Organtransplantation. Ihr werden die deutschen Spender zuerst gemeldet. Für die Vermittlung der Organe ist aber dann Eurotransplant zuständig, die auch die Warteliste führt. Rund um die Uhr sitzen Mehlitz und die Kollegen hier. Vor ihrer Tür wird der glänzende, blaue Klinikflur häufig gewischt, und manchmal stehen da weiße Styroporkästen. Darin waren die Nieren vom Wochenende.

Einmal aus den Körpern gelöst, müssen die Organe in wenigen Stunden wieder eingesetzt sein. Das Herz in vier Stunden, die Lunge in sechs bis acht. Die Leber muss nach 18, die Niere nach 24, der Dünndarm nach sechs bis acht Stunden wieder arbeiten. Spätestens. Je kürzer die Zeiten, desto besser funktioniert das Organ. Das verlangt eine strenge Synchronisation von Teams, Ärzten, OP-Sälen, Belegungsplänen, Flugzeugen, Piloten, Chirurgen, sterilen und unsterilen Schwestern und Fluglotsen. Ein riesiges Netz auf Standby, per Fernbedienung mit einem Anruf aus dem holländischen Leiden aktiviert. Dort sitzt die Zentrale von Eurotransplant. Dann zieht sich alles zusammen um einen ersten Operationstisch und dann um einen weiteren.

Früher war die Sexualität tabu und der Tod normal, sagt Thomas Mehlitz jetzt, 10 000 Fuß über Grund. Heute ist die Sexualität normal und der Tod tabu. „Denn wer stirbt heute noch zu Hause?â€? Es sind bekittelte Ärzte, die einem sagen, wann der Tod eingetreten ist. Fremde. Es sind diese Fremden, die dann nach einem Organ fragen. Auch deshalb hätten die Leute Angst, es liege daran, dass sie nichts wissen, sagt Mehlitz. Zum Beispiel wissen sie nicht, dass es seit 1997 das Transplantationsgesetz gibt, das regelt, dass die behandelnden Ärzte vor dem Tod andere sein müssen, als diejenigen, die das Organ entnehmen. Nur zur Vorsicht. Um Interessenskonflikte zu vermeiden. Damit die Menschen nicht Angst haben müssen, dass der Arzt sie falsch behandelt, nur um an ihre Organe heranzukommen. Wüssten die Leute, wie sorgfältig gearbeitet wird, hätten sie längst mehr Vertrauen, glaubt der Koordinator. Auf der Warteliste für Organtransplantationen in Deutschland stehen etwa 12 000 Menschen. In ein paar Wochen, wenn wieder Tag der Organspende ist, wird wieder einmal um mehr Vertrauen geworben.

Über der Landebahn von Linz. Auf dem Rollfeld der Rettungswagen. Die Fahrt: Bauhaus, Reno, Autofachmarkt, China-Imbiss, Würstelmann und dann eine Klinik. Personalschleuse, die Kleidung gegen grüne Hemden, Hosen, Haarnetze und Mundschutz, Eintritt in die andere Welt. Sie liegt schon da, die Arme seitlich ausgebreitet, im Leben hat sie sehr auf sich geachtet.

Operationssaal vier könnte überall sein auf der Welt, wenn am Regal nicht „Plastikkasterlâ€? stünde. Der Ehemann heißt hier Gatte, sie haben beschichtete OP-Tücher, in die Wassertropfen nicht einziehen, sondern auf ihnen liegen bleiben, und sie haben im Unterschied zur Charit?© einen selbst arretierenden Thoraxsperrer, der den Brustkorb aufhält. Das ist Österreich.

In Österreich gibt es auch ein anderes Organspendegesetz. Die Widerspruchsregelung besagt, dass jeder, der nicht gegenüber jemand anderem einer Organentnahme widersprochen hat, als Spender gilt. Deshalb gibt es in Österreich proportional mehr Spender. Aber in Deutschland, hatte Mehlitz gesagt, würde das nicht funktionieren. Die Leute haben zu viel Angst, sie haben ihre Vergangenheit mit dem Dritten Reich, und die kann keiner wegreden. Die Deutschen sind misstrauisch. Wenn sie das Widerspruchsgesetz einführten, glaubt Mehlitz, gingen die Spenderaten sofort rapide zurück. Vermutlich würden sich alle ihren Widerspruch sofort irgendwohin tätowieren. Nur so zur Sicherheit.

Stimmt die Blutgruppe? Ist der Totenschein da? Die Einwilligung eines Angehörigen zur Organspende? Schnitt. Das Skalpell kann man hören und riechen. Die Hitze verschließt die Gefäße wieder, es riecht verbrannt. Das Beatmungsgerät ist an, der Kreislauf läuft, das Herz schlägt. Organe können nur dann entnommen werden, wenn sie noch durchblutet sind und Sauerstoff bekommen. Das führt dazu, dass das Herz noch springt im offenen Leib, die Tote hat einen rosigen Teint und warme Hände, ihre Fingernägel sind wunderbar gepflegt und lang. Sie hatte eine spontane Hirnblutung erlitten, tagelang hatte man versucht, sie zu retten. Hirntod ist schwer zu begreifen für die Angehörigen, hatte Mehlitz gesagt, solange sie so gesund aussehen.

Man hat sich geeinigt: Hirntod ist der Zeitpunkt, ab dem im Menschen kein Leben mehr steckt. Seine Ursache ist für die Transplantationsärzte nicht wichtig, wichtig ist allein die Qualität des Organs und die Ergebnisse der Tests: auf Tumore, Blutvergiftung, Bakterien, Hepatitis und HIV. Tollwut gehört nicht dazu. Wenn man das Ergebnis sicher wüsste, wäre das Organ schon zu alt. Für Tote zahlen keine Kassen, und sobald der Tod festgestellt wird, geht die Verantwortung für die Organe und auch die Rechnung für jede Behandlung an die DSO, die Deutsche Stiftung Organtransplantation. Nach einer erfolgreichen Transplantation zahlt die Kasse des Empfängers die Kosten. Für eine Lebertransplantation sind das etwa 80 000 Euro.

Thomas Mehlitz hat jahrelange Erfahrung als Koordinator. Er war einer der ersten in Deutschland. Er hat als Krankenpfleger angefangen und kann inzwischen wie ein Arzt einschätzen, ob eine Leber gut ist, ob sie beim Spülen ungut verfärbt, Flecken bildet, verfettet ist, einen Tumor hat und wie sie auf Fingerdruck reagiert. Die sterile Schwester Veronika ist jung und unerschrocken. „Können wir aufhören zu flirten, sonst werden wir nicht fertig!â€? Sechs Hände, um den Bauch aufzuhalten. Der Tod ist schon gegangen, die Lebenden packen ihre Schläuche aus. Es läuft Musik.

23 Uhr 35. Die Leber? Ist gut. Mehlitz geht telefonieren. In Berlin wird jetzt ein Mann, dem man eine neue Leber versprochen hat, von einem Krankentransporter abgeholt. In Linz zählt nun auch Schnelligkeit, das ist wichtig für das Organ, den Ruf des Chirurgen und die Statistik.

Kurz nach Mitternacht wird die Gallenblase entfernt. Kurz vor halb eins enthüllt Inga Husmann, dass sie Berliner Vizemeisterin im Geräteturnen war. Um 0 Uhr 32 lösen sie die Muskelstränge, an denen das Zwerchfell hängt. Einer fühlt die Temperatur an der Stirn der Toten. Die Operation findet eigentlich drei Mal statt: auf dem Tisch und auf zwei Monitoren, die von der Decke hängen. „Landlungeâ€?, sagt Mehlitz, er sieht das von weitem. Wäre die Lunge in der Stadt groß geworden, sie wäre dunkler.

Um eins noch keine Spur vom Lungenteam aus Hannover. Stillstand im OP. Die Ärzte fassen sich an den Rücken. „Es ist viel mit Warten verbundenâ€?, hatte Mehlitz gesagt. Und mit Stehen. Manchmal muss man sich sehr beeilen, und dann kommt etwas dazwischen, und es gibt Leerlauf, weil ein OP besetzt ist oder das Lungenteam nicht kommt. „Es sieht manchmal gar nicht dramatisch aus, was wir machen. Es sieht sogar langweilig ausâ€?, hatte er gesagt. Aber das Drama liegt nicht in der Art, sondern in der Bedeutung der Handlung. Schwerer als das Skalpell wiegt die Verantwortung.

Das Leberteam kennt das Lungenteam. Gemeinsam hat man sich schon über andere Körper gebeugt. Es sind jetzt 13 Leute im OP. Und die Lunge ist zwar eine Landlunge, aber leider vereitert. Wenn man den Eiter absaugt, läuft neuer nach. Der Arzt aus Hannover ist sich nicht sicher. Er muss nachfragen. Ist der Empfänger gesund genug, um eine angeschlagene Lunge zu verkraften? Nimmt man lieber so eine als keine? Er will noch einen Test. Das dauert. Um kurz nach zwei nehmen sie die Lunge doch nicht. „Sie wurde tagelang beatmet. Wasser in der Lunge. Das passiert.â€? Der Hannoveraner Arzt fliegt mit seinen Leuten wieder nach Hause.

Der Blutfluss in die Beine wird nun abgebunden, im Oberkörper steigt der Druck an. Die Aorta zum Zwerchfell wird zugeklemmt, die Vene angeschnitten. Das Blut hat es zum letzten Mal eilig und flitzt durch zwei Schläuche rechts und links über den Klinikboden in Kanister. Dann wird mit Druck die Spülflüssigkeit nachgeschoben. Spülung der Organe im Körper als Vorbereitung zur Entnahme, exakt zehn Minuten, Lösung HTK nach Bretschneider, die Leber verfärbt sich, wird gräulich ohne das Blut. Wie ist sie? Nicht verfettet, kein Tumor, keine Flecken beim Entfärben. „Sie wird’s tun.â€? Die Leber geht also nach Berlin. Eine Niere nach Innsbruck, eine nach München, das Herz bleibt da und die Lunge im Körper. In verschiedenen Städten bereiten Menschen Narkosen vor.

Aber natürlich kann zu diesem Zeitpunkt immer noch alles schief gehen. Ein Schnitt an der Leber. Sie kann reißen.

Zwei Uhr 41, die Leber ist draußen, um zwei Uhr 45 die rechte Niere, um zwei Uhr 50 die linke Niere, um drei Uhr 02 das Herz. Nur die Gallenblase wartet in einem Schälchen darauf, dass sie wieder eingesetzt wird, damit der Körper so vollständig wie möglich begraben werden kann. Die Leber kommt in eine Salatschüssel mit türkisem Deckel, „viereinhalb Liter, von Tupperware, können Sie kaufenâ€?. Beim Sterilisieren verzieht sich der Deckel, aber an Lebertransport haben die von Tupperware ja auch nicht gedacht. Um die Dose Eis, alles in eine Plastiktüte, verschlossen mit einem Kabelbinder.

„Ihr wart’s erfolgreich?â€? fragt der Rettungsfahrer. In umgekehrter Reihenfolge fliegen vorbei der Würstelmann, China-Imbiss, Autofachmarkt, Reno, Bauhaus, das Flughafentor. Die zwei Propeller glänzen silbern wie Operationsbesteck, die Gangway berührt den Boden nicht. Tut uns leid, sagen die Piloten. Sie haben es versucht, an zwei verschiedenen Stellen. Linzer Torte war nicht zu kriegen. Im Flugzeug bleibt es deshalb bei Fleischbrötchen mit Paprika und Petersiliendekor. Es ist so dunkel, die Farbe des gekochten Schinkens sieht man kaum. Es dauert nur Minuten, dann sind nur noch die Piloten wach. Hinten liegt die Leber in der blauen Kühlbox im Eis.

Vier Uhr und Rückenwind. Zwischen Wachen und Schlafen, Himmel und Erde, Nacht und Tag, Leben und Tod. Warum macht einer wie Mehlitz das? Organe. Einer muss die Logistik organisieren. Die Logistik beeindruckt am meisten. Immer wieder schlägt er sich die Nächte um die Ohren, mittags kaum Essen, immer wieder „Herztodkaffeeâ€?, zu Hause drei Kinder. Die Dramatik, hatte er gesagt, liegt nicht in dramatischen Toden. Die alltäglichen Tode, das sind die wahren Tragödien. Ein Kind, nur mal auf dem Spielplatz gewesen und vom Gerüst gefallen. Ein Radfahrer, nur mal eben ohne Helm unterwegs. Doch wenn die Ärzte mit ihren Spülflüssigkeiten kommen, sind alle Geschichten erloschen, die Persönlichkeit und das Drama des Todes. Zu sehen sind: Organe in bekannter Anordnung. Es würde nicht funktionieren, wenn die Ärzte auch noch das Schicksal des Toten betrauern müssten.

In Berlin zieht jetzt schon der Morgen auf mit seiner furiosen Nebel- und Lichtshow, die Stadt schläft, aber auf der Stadtautobahn sind schon Leute, und was da so rechts und links an den Häusern flackert, das ist das Blaulicht vom Dach. Ohne Bewusstsein in Operationssaal fünf liegt er schon da, die Arme seitlich ausgebreitet, für seine Tumorleber hat er fortan keine Verwendung mehr.

Wieder ein erster Schnitt, der Geruch, die zwei Übertragungsmonitore – aber dieser Patient lebt. Er muss anonym bleiben, und er darf auch selbst nicht wissen, von wem seine neue Leber kommt, die jetzt nur noch eine Nummer hat. Dass er weiterleben darf, ist der Grund für diese Reise gewesen, für all die Logistik, die Hektik. Sobald er aus der Bewusstlosigkeit erwacht, hat er wieder eine Zukunft.

Die sterile Schwester schlägt der Chirurgin blind die Instrumente in die Hand. Es eilt, Unterstützung wird angefordert, der Professor schaut herein. Die Chirurgin ist die Jüngste im Transplantationsteam. Es ist ihre neunte, sie spricht von Routine und steht zart in Grün über diesem kräftigen Körper. An der Charit?© werden etwa 130 Lebertransplantationen im Jahr gemacht, Überlebensquote 90 Prozent. Keine Musik, mehr Anspannung, die Uhr läuft, fast fünf Stunden lang. Der Tod hat hier nichts verloren, auch wenn er zwischendurch um die Ecke guckt. Dann kommen die Anästhesisten und hauen ihm eins über die Mütze. Herzkammerflimmern, der Kreislauf sackt weg. Es kann immer noch alles schief gehen. Um zehn vor neun nimmt die Leber im neuen Körper Platz. Als sie wenig später, an die Aorta angeschlossen, mit eigenem Blut durchspült wird, leuchtet sie wieder in ihrem vertrauenerweckend dunklen Rot.

Um halb zwölf der letzte Stich an der Naht. Man kann es sehen, die neue, alte Leber produziert schon Galle.

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Re: Lesenswert!! 14 Mai 2005 15:16 #78509

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Hallo pit,

inzwischen hat TinaW den Artikel ja auch ins Netz gestellt. Ich habe ihn verschlungen. Sehr bewegend und gleichzeitig sehr emotional, angsteinflössend und hoffnungsvoll zugleich, dieser Artikel. Besonders beeindruckend fand ich die Beschreibung zwischen Leben und Tod eines Menschen, diese Realität auf der einen Seite und das, was sich im Hintergrund abspielt, auf der anderen Seite. Hast Du auch den Artikel gelesen, wo einem erst 30 Tage alten Baby in Tübingen eine Leber verpflanzt wurde? Unglaublich, was die Medizin alles leisten kann! ...

Und trotzdem bin ich noch nicht bereit für eine TX. Irgendetwas in mir drin sagt: Lass es vorerst sein! Ich kann nicht begründen, warum das so ist oder warum ich so empfinde. Vielleicht will ich für mich nicht die Verantwortung übernehmen, die man tragen muß mit einem oder gar zwei (bei Doppel-TX) fremden Organen. Es ist nicht so sehr die Angst vor der OP oder etwaigen Schmerzen bzw. Unannehmlichkeiten, es ist vielmehr die Angst vor einem fremden Leben, das nun mein eigenes Überleben sichern soll. Ich kann es nicht besser beschreiben. Dazu kommt dieses Ausgeliefertsein gegenüber den Ärzten, was ich nur sehr ungern in Kauf nehme und die lebenslange Kontrolle wegen der Immunsupressiva nd möglichen Verschlechterungen der transplantierten Organe. Und wovor mir am meisten Angst und Bange ist: Der Kreislauf Prädialyse-Dialyse geht wieder von vorne los und damit auch meine Ängst vor den Blutuntersuchungen. Nein, das will ich nicht. Jedenfalls noch nicht!

Schöne Pfingsten allen Usern!

Björn, das beuteltier.

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Re: Lebenswert!! 14 Mai 2005 20:24 #78513

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Hallo Björn,
ich habe den Artikel noch nicht gelesen, kann mir aber vorstellen, dass er sehr lesenswert ist.
Möchte hier auf Deine Gedanken zur NTX eingehen, weil auch ich den Schritt zu einer neuen Transplantation nicht wage.
Mich schreckt die Tatsache, mich in die Hände von Ärzten zu begeben, die mein Leben dann erstmal in der Hand haben. In Dialysedingen bin ich inzwischen selbst fast Profi, mit einer NTX würde das anders sein. Dazu kommt bei mir fast die Gewissheit, dass dieses neue Organ niemals perfekt funktionieren wird, weil mein Körper einfach zu vorbelastet ist. Lohnt es sich, ein Organ anzunehmen, das mir vielleicht eine recht gute Ausscheidungsfunktion beschehrt, ohne die Dialyse zu ersparen??? Es könnte doch sein, dass die Niere genügend Wasser ausscheidet, aber nicht genügend Giftstoffe. Dann ist da dieses fremde Organ, das ich schon bei meiner ersten NTX immer in mir gespürt habe. Und was machen die vielen Immunsuppressiva mit mir? Wie reagiert die Leber, entwickelt sich aus der chron. Hepatitis evtl. sogar eine Leberzirrose? Werden meine Knochen durch das Kortison noch brüchiger und lockern sich die künstl. Hüftgelenke?
Aber: Eine NTX ist unsere einzige Chance überhaupt von der Dialyse wegzukommen. Sie dient auch der Überbrückung zwischen den Dialysen und damit der Lebensverlängerung. Nierentransplantationen sind inzwischen Routineoperationen und gegen die Abstoßung werden laufend neue Medikamente entwickelt. Nebenwirkungen können frühzeitig erkannt und ihnen dann gegengesteuert werden. Bei guter Funktion benötigt man letzendlich nur ein minimum an Erhaltungsdosis. Und seinen Körper lernt man wieder neu kennen, Reaktionen neu einschätzen ect. Man lernt sein neues Organ so gut kennen wie sein Dialysegerät. Und sollte die Niere doch nicht arbeiten, dann fängt einen die Dialyse wieder auf.
Aber was ist mit den vielen Erinnerungen und schlechten Erfahrungen der letzten beiden NTX. Die sind tief in meinem Gedächtnis verankert und lassen mich zweifeln.
Ich kann nur mir selbst vertrauen bei dem Schritt zur Transplantation, meiner Vorfreude auf das, was kommen mag: Trinken können, so viel ich mag! Essen können, was ich mag! Reisen können, wohin ich will! Keine Abhängigkeit mehr von einer Maschine! Der Körper kann sich erholen, die Gefäße werden geschont. Ist das ein kalkulierbares Risiko oder bin ich an der Dialyse mit relativem Wohlbefinden besser aufgehoben? Was nun Frau Schrul? Woher nehme ich den Mut und das Selbstvertrauen, das unbedingt zu diesem Schritt dazugehört. ich gehe nicht gern zur Dialyse, manchmal hasse ich sie sogar, die Maschine ist kein Feind aber auch kein Freund. Werde ich je meine neue Niere hassen und mich nach der Maschine zurücksehnen? Oder werde ich denken: Hätte ich mich nur früher zu einer Dritttransplantation entschieden?
Die Entscheidung kann uns keiner abnehmen, tief im Innern glaube ich aber, es ist besser, es zu tun - sich wieder auf die Liste setzen zu lassen!
Wer immer dies liest, danke fürs zuhören und allen viel Mut bei der Entscheidung Transplantation ja oder nein.
Liebe Grüße. Anja

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Re: Lesenswert!! 14 Mai 2005 21:28 #78514

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Hallo Björn,
ich respektiere deine Ängste, die auch mich hier und da befallen und mich doch wacker auf das warten lassen, was da kommt.
Deine Bedenken hinsichtlich einer neuen Prädialysezeit, wundert mich ein wenig. Du hast also Angst vor der Prädialysezeit und vermeidest sie, indem du Dialysepatient bleibst. Du hast also keine Angst vor der Dialyse, sondern Angst vor der Angst? Ein anschauliches Beispiel wäre: Bitte lass mich tot sein, damit ich endlich keine Angst mehr davor haben muss! Sorry ist ein wenig hart, aber Björn kennt mich, deshalb schreibe ich es so. Ich verstehe ja deine Bedenken, aber den angeführten Grund nicht :-))
Natürlich ist eine TX ein Risiko, das ganze LEben ist voll davon. Die Fahrt alleine auf einer deutschen Autobahn erfordert schon eine Menge Mut. Außerdem bist du auch jetzt ständigen Blutkontrollen ausgesetzt und ich gönne dir von ganzem Herzen, dass die capd noch lange möglich ist, weil du so gut damit klar kommst. Ich hatte damals die Zeit nicht, zu überlegen, weil die Wartezeit ab Anmeldung Liste galt. Das haben sie Gott sei Dank geändert und damit die Überlegezeit möglich gemacht.
Allerdings verstehe ich Anjas Statement total. Sie hats immerhin schon zwei mal versucht, da denkt man schon drüber nach, ob man es nochmal wagen will. Frag doch mal die erfolgreich Transplantierten hier in DO und such dir nicht nur die Negativbeispiele aus. Das könnte man, wie schon gesagt, beim Autofahren oder bei vielen anderen Dingen ebenso tun.
Wir werden nun mal nicht gesund, ob mit Dia oder TX sind wir eh immer auf Ärzte und Blutkontrollen angewiesen. Ist nun mal so und jeder wird so mündig wie er möchte ob als Dia- oder TX-Patient.
So und entschuldige meine harten Worte zwischendrin. Mir fiel kein anderes Beispiel ein. Vielleicht: Ich habe zwar Hunger, aber ich ess jetzt lieber nichts, sonst geht das morgen wieder von vorne los. Gewöhne ich mich lieber direkt an den grummelnden Magen.
Einen schönen Sonntag bis bald in Schwerin
Chrisi

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Re: (temporäres) Contra Transplantation 14 Mai 2005 22:08 #78515

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Hallo Anja und Björn!

Ich möchte Euch herzlich danken, daß Ihr auch diese Aspekte einmal in Worte gefaßt habt.

Freundliche Grüße,
fabienne

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Re: Lesenswert!! 15 Mai 2005 07:21 #78516

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Hallo zusammen,

ich kann jede Reaktion von euch verstehen aber bei mir bleibt das dumpfe Gefühl das Björn keine Verantwortung für sich, seinen Körper und überhaupt sein Leben übernehmen will.
An der Dialyse werden einem ja gewisse Entscheidungen abgenommen, die Ärzte sind ja auch noch da, aber für mich gilt das nicht, ich entscheide was ich will und was nicht!
Ich war 14 Jahre an der Dialyse und bin jetzt seit über 2 Jahren zum zweiten Mal NTX und ich habe es nicht bereut!!! Ja ich habe eine große Verantwortung, für mich, meinem Körper und meiner, ich sage bewusst meiner Niere die für mich das grösste Geschenk der Welt ist. Ich bin den Chirurgen bei meiner TX in Frankfurt fast auf den OP Tisch gesprungen vor Freude ich wollte diese Niere mit jeder Faser meines Herzens und die 5 Wochen stationärer Aufenthalt habe ich genossen wie einen traumhaften Urlaub! Für mich ist diese Niere nicht selbstverständlich und oft streichele ich sie abends im Bett und bedanke mich bei ihr.
Die Nebenwirkungen nehme ich gerne in Kauf, das neue Leben überwiegt und ob ihr es glaubt oder nicht meine TX hat mir bis jetzt soviel Glück gebracht wie noch nie in meinem Leben das liegt auch an meiner neu gewonnenen Einstellung zum Leben.
Überzeugt euch selbst davon: www.besuchshund.de
Zum Abschluss, ich würde jederzeit wieder eine Spenderniere haben wollen auch mit den ganzen negativen Erfahrungen, ich habe daraus für mein ganzes Leben dazugelernt.
Egal wie ihr euch entscheidet, steht dazu und liebt euren Körper ihr habt nur diesen einen!!!!!
Liebe Grüße
Luca

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Re: Lesenswert!! 15 Mai 2005 12:05 #78517

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luca schrieb:

> Hallo zusammen,
>
>>> Für mich ist diese Niere nicht
> selbstverständlich und oft streichele ich sie abends im Bett
> und bedanke mich bei ihr.
> Die Nebenwirkungen nehme ich gerne in Kauf, das neue Leben
> überwiegt und ob ihr es glaubt oder nicht meine TX hat mir bis
> jetzt soviel Glück gebracht wie noch nie in meinem Leben das
> liegt auch an meiner neu gewonnenen Einstellung zum Leben.
>> Zum Abschluss, ich würde jederzeit wieder eine Spenderniere
> haben wollen auch mit den ganzen negativen Erfahrungen, ich
> habe daraus für mein ganzes Leben dazugelernt.
> Egal wie ihr euch entscheidet, steht dazu und liebt euren
> Körper ihr habt nur diesen einen!!!!!
>

Dem kann ich nur zustimmen was luca geschrieben hat.
ICh lebe seit über 10 jahren mit einer neuen Niere und habe es bis heute nie bereut. Eine Verantwortung über meinen Körper habe ich genauso wie vor miener Dia-Zeit .
Klar kann eine TX auch schief gehen aber ich kann auch vom Rad fallen und weg bin ich. Angst , die haben wir alle vor einer TX .
Euch allen noch ein schönes Pfingswochenende.
blume

Verantwortung über seinen Körper hat jeder auch ein gesunder.Einen Arzt werden wir immer brauchen ob mit oder ohne TX.

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Re: Lesenswert!! 15 Mai 2005 18:49 #78520

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Hallo Björn, jeder Mensch soll selber über sein Leben selber entscheiden. Das sollte außerhalb jeglicher diskussion stehn.
Ich hatte mal einen Freund. Wir wurden sehr zeitnah zueinander geboren, unssere Eltern kannten sich, wir waren im gleichen Kindergarten und später in der Schule in der gleichen Klasse. Eines Tages fehlte er beim Unterricht. Keiner machte sich Gedanken wahrscheinlich Erkältung oder so, dachten wir. Nach einigen Tagen wollte ich ihn besuchen. Er war nicht da und seine Mutter erklärte mir, dass er sehr krank sei und im Krankenhaus wäre ich ihn aber dort besuchen könne. Dort nahm sich ein Arzt die Zeit, mir zu erklären, was mit dem Freund los ist. Man hat beide Nieren entnommen und er war plötzlich und unerwartet dialysepflichtig geworden. Das war 1974, wir waren 14 Jahre alt. 2 oder 3 Jahre später wurde er das erste Mal transplantiert. Die Neue Niere mußte aber nach ein pssr Wochen wieder raus. Also wieder Dialyse. Damals war die Dialyse vermutlich anders als mit der heutigen Technik. Er mußte 3 mal die Woche hin jedesaml 8 Stunden, den ganzen Tag über und auch der nächste Tag war zur hälfte gelaufen. Nach der Transplantation bekam er eine Lungenentzündung und Gelbsucht. §jahre später wurde er erneut Transplantiert und ich weis es noch wie heute. Auf meine Frage ob er nocheinmal eine Transplantation wolle antwortete er Na klar. Alles ist besser als Dialyse auch bei den Nebenwirkungen und Erkrankungen. Das ist eine Perspektive Die 2. Transplantation überlebte er ungefähr 3 Wochen. Dann Wieder Abstossung, Lungenentzündung, gelbsucht. Er starb im Alter von 20 Jahre.
Gut, das war damals. Als ich vor 2 Jahren gesagt bekam, dass meine beiden Nieren rausmüssen, fiel mir diese alte Geschichte spontan wieder ein, Nachdem ich Jahre nicht mehr an ihn gedacht hatte. Ich muß noch 3 Jahre warten um auf die Warteliste zu kommen. Wenn es aber soweit ist, werde ich mich selbstverständlich drauf setzen lassen. Das ist doch unsere Perspektive, so gut die Dialyse auch sein mag. Aber das muss natürlich jeder für sich entscheiden.

Gruß Limo

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Re: Lesenswert!! 15 Mai 2005 19:18 #78521

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Hallo Limo,
ich bewundere deinen Freund und seine Entscheidungen! Irgendwann ist für uns alle die Uhr abgelaufen aber bis dahin möchte ich leben und zwar mit meiner Niere und solange es geht ohne die Dialyse. Es gibt überall Risiken aber man muss auch mal etwas wagen und ins kalte Wasser springen. Ich lebe nach dem Motto: Hinfallen ist nicht schlimm man darf nur nicht liegenbleiben sondern gleich wieder aufstehen und weiter gehen!!!
Ich wünsche dir alles gute für deine Zukunft, und glaub mir, das Leben hält für uns noch wundervolle Dinge bereit, geniesse es!
Liebe Grüße
Luca

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Re: Lesenswert!! 21 Mai 2005 13:54 #78547

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Hallo zusammen,
stimme dem Vorgesagten voll zu und erlaube mir ebenfalls Nachfolgendes genau zu bedenken! Nachheutigem Stand der Medizin bleibt uns nur die Transplantation, wenn wir weiterleben möchten. Fernerhin sollte die pro- Entscheidung fallen, bevor unser Körper durch die Dialyse (was ja letztendlich nur eine Ersatztherapie ist), so vorgeschädigt ist, dass dann eine anvisierte NTX auf Grund der schlechten Gesamtverfassung des Körpers nicht mehr möglich ist.
Schöne Grüße
lokfan

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Re: Lesenswert!! 24 Mai 2005 17:55 #78561

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Hallo lokfan,
dem möchte ich doch gern widersprechen. Gerade nach dem heutigen Stand der Medizin ermöglicht die Dialyse unbedingt ein Weiterleben. Eine Transplantation ist genauso eine Nierenersatztherapie wie die Dialyse - gesund wird dadurch niemand. Das Leben wird sicher angenehmer, sollte die NTX erfolgreich sein. Es gibt aber genug Beispiele, dass es nach einer NTX Komplikationen gab und die Patienten mit weniger guten Ergebnissen zurück an die Dialyse müssen. Ich möchte hier niemandem Angst machen und befürworte grundsätzlich eine NTX, aber dass nur sie ein Weiterleben ermöglicht stimmt so nicht.
Desweiteren fühle ich mich angesprochen, wenn Du sagst, man sollte nicht so lange warten, bis der Körper soweit geschädigt ist, dass keine NTX mehr möglich ist. Du hast recht: Jeder Dialyseneuling sollte unbedingt eine Nierentransplantation erwägen, wenn nicht andere gesundheitliche Dinge dagegen sprechen. Aber bedenke, die durchschnittliche Wartezeit beträgt in D heute ca. 5 Jahre (evtl. schon mehr?!) Viele Patienten warten also sogar länger auf Ihr Organ. Während dieser Zeit können sich natürlich auch Nebenerkrankungen, z.B. des Knochenstoffwechsels einstellen. Dazu kommt, sobald eine Infektion - Erkältung ect. - auftritt, ist man erstmal nicht transplantationsfähig.
Auf meine zweite Niere habe ich 13 lange Jahre warten müssen und dann war es DER Reinfall überhaupt. Da kann einem schon irgendwie die Lust vergehen. Natürlich wird das dritte mal nie wie das zweite. Außerdem sage ich mir, ich habe bereits noch schlimmere Dinge hinter mir, soooooooo dramatisch kann es nicht wieder werden. Manchmal denke ich, es ist wie eine Wand. Bei der Dialyse weiß ich, was ich habe, das ist bei einer neuen Niere nicht so.
Viele Grüße. Anja

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Re: Lesenswert!! 24 Mai 2005 20:37 #78563

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Hallo Anja,
dank für Deine offenen Worte, wobei ich Deine Auffassung in vielen Punkten teile, aus eigener Erfahrung. Auch bei mir lief nicht alles schulbuchmedizinisch, mittlerweile besitze ich das 3. Transplantat, nach 1980, nicht gerade ein Highlight (Krea 2,3; Harnstoff 120), aber allemal besser als Dialyse. Nach meiner ersten NTX dachte ich genau wie Du, sie (die Niere) lief erst klasse, nach 3 Wochen schon entlassen (Vorzeigepatient, Erfolgsquote damals 50%), dann 8 Tage später akute Anstoßung, die zum damaligen Zeitpunkt nicht mehr in den Griff zu bekommen war, Ergebnis, wieder ins OP, dann stand für mich fest - das war’s! Aber irgendwie reifte dann doch der Gedanke, es muß einfach klappen, einmal möchte ich da Platz nehmen wo die Tx-Ambulanzpatienten saßen und das waren täglich sehr viele.
Dann endlich Frühjahr 91 nach 11 Jahren Dialyse, die erlösende Nachricht, zu aufgeregt und ängstlich, daß wieder etwas schief gehen könnte, um überhaupt klar zu denken, geschweige zu schlafen. Doch am 3.Tag nach der TX ging’s mir körperlich bereits besser, als zu Dia –Zeiten (und damals waren 6 Std. HD Standard), von der Narbe jetzt mal abgesehen. Leider war hier der Spender bereits vorerkrankt (membranöse Glumerolenephritis), trotzdem ermöglichte mir diese Niere über 5 Jahre ein (fast) unabhängiges Leben, die der Körper nutzte zur Regeneration, zu den ständig NIEMALS auf Normalwert zu bekommen Blutwerten an der Dialyse und sei sie auch noch so optimal. Aber kommen wir kurz zur Statistik, die jedoch dem Einzelschicksal wenig hilft, der betroffen ist. Wartezeit in der BRD durchschnittlich 10 Jahre. Es gibt eine weitere Statistik, die nachdenklich macht, durchschnittliche Lebenserwartung an der Dialyse ca. 8 Jahre, wobei das natürlich bzgl. der Realität etwas hinkt, da hierbei auch die Senioren mitgezählt sind, die erst im Rentenalter mit der Dia beginnen. In meinen rund 14-Jahren Gesamtdialysezeit, mußte ich doch von einigen Mitpatienten abschied nehmen und das waren nicht alles Senioren. Ein weiterer Schreckschuss, wenn unweit der Alarm ertönt und alle Lichter am Dialysegerät an sind und Reanimationsversuche unternommen werden, die dann mit dem übergezogenen Tuch enden und die Liege rausgefahren wird.
Somit mein Fazit: Transplantation bejahend, nach heutigem Stand klappst zu fast 90 %, auch wenn der Körper sich erst auf diesen schweren Eingriff einstellen und erholen muß.
Die langfristige Schädigung des Körpers ist enorm, was schon mit der Verkalkung der Gefäße anfängt (nach gewisser Zeit ist bei vielen eine Herz-Op (Bypässe) nötig, bei mir ebenfalls) und den sonstigen uns bekannten Nebenwirkungen. Dazu kommt, das bei der heutigen Auswahl an Medikamenten, zumeist das passende Immunsuppressivum für Jeden eingesetzt werden kann, was damals nur mit Cortison und Imurk funktionierte (auch hier sind mir Patienten aus meiner Ambulanz bekannt, die bereits 16 Jahre damit leben. Zum Schluß nach kurz die Anmerkung, daß natürlich Negatives mehr Diskussionsstoff bietet und nachhaltiger wirkt, als eine positiv verlaufende NTX.
Dir jedenfalls alles Gute und möge Deine momentane Entscheidung nicht auf Dauer so verneinend bleiben!
Beste Grüße
Axel
Sorry, ist ein wenig lang geworden. Denke, ich konnte trotzdem einiges an Gesamtinformativem beitragen.

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Hi :)