Heute Vormittag ist bei der Dialyse jemand in meinem Raum gestorben
. Ich kannte ihn nicht, ich gehe in einem Krankenhaus zur Dialyse, er kam von der Station. Ein älterer Mann, wahrscheinlich schon um die 80,vermute ich. Er hatte heute seine erste Dialyse, nur 2 Stunden. Die Schwester war gerade fertig mit ausbinden bei ihm, da war er wohl plötzlich weg. Sie rief ihn mehrmals, gab ihm leichte Klapse auf die Wangen, rief laut, sie braucht Hilfe. 2 andere Schwestern kamen angelaufen, eine brachte so ein Gerät mit, zum Wiederbeleben, glaube ich. Die Schwester hat Herzdruckmassage gemacht, dann wurden die Stellwände um das Bett gestellt, die Ärztin kam, und ich habe gehört, dass sie gesagt hat, der Patient wollte keine Maßnahmen. Da mussten sie aufhören. Ein paar Minuten später wurde er rausgefahren.
Ich habe sowas schon so oft erlebt, bin ja schon 32 Jahre an der Dialyse. So viele Menschen, die ich gekannt habe und so einige, die ich gerne gemocht habe. Vor ungefähr 4 Wochen ist auch ein Patient aus meinem Raum gestorben, ganz unerwartet, aber nicht bei der Dialyse. Er war Ende 70, aber noch sehr fit. Er wollte transplantiert werden, die Vorbereitungen waren im Gang. Als er morgens nicht kam, hat sich zuerst niemand gewundert, denn an dem Tag sollte vor der Dialyse sein Shunt mit Ultraschall untersucht werden, und der Arzt, der das bei uns macht, kommt noch nicht um 7. Aber als er dann gar nicht aufgetaucht ist, haben die Schwestern natürlich nachgeforscht. Er war gestorben, nachts oder am frühen Morgen, das weiß ich nicht genau. Ich kannte ihn einige Jahre, als wir zusammen in Corona Quarantäne waren, haben wir uns auch unterhalten. Auch die Schwestern und die Ärztin waren geschockt. Aber wenigstens hat man uns Bescheid gesagt, wir hatten auch mal vor vielen Jahren eine Oberärztin, die der Meinung war, das dürfte man den anderen Patienten nicht sagen wegen Datenschutz. Die Schwestern fanden das auch nicht gut, mussten sich aber daran halten.
Natürlich, wir sind alle schwer krank, mit sowas muss man immer rechnen. Aber ich muss dann immer an all die vielen Menschen denken, die alle schon lange nicht mehr da sind. Und es ist bei jedem, als wäre es erst gestern passiert. Außer mir ist bei uns keiner länger da, nur ich bin noch übrig. Warum bin ausgerechnet ich noch übrig? Ich habe niemanden, mit dem ich darüber reden kann. Meine Mutter interessiert es nicht. Und meiner Freundin möchte ich es nicht schreiben, denn ihre Mutter ist auch an der Dialyse gestorben. Das heißt, sie hatte während der Dialyse beim Frühstück einen schweren Schlaganfall. Sie hat neben mir gelegen. Von meiner Freundin weiß ich, dass sie noch ein paar Tage auf der Intensivstation gelegen hat, aber nicht mehr aufgewacht ist. Das ist schon über 20 Jahre her, aber trotzdem möchte ich meiner Freundin nichts davon erzählen.
Kurz nachdem das heute passiert ist, kam der neue Oberarzt, und hat jeden gefragt, wie es ihm geht, wir sind noch 4. Er hat gesagt, wenn was ist, können wir jederzeit zu ihm kommen. Das hat er mir in letzter Zeit auch schon oft gesagt, weil es vor einigen Wochen bei mir große Probleme gab, und ich bin mir eigentlich auch sicher, dass er das ehrlich gemeint hat. Aber ich weiß nicht.....wie gesagt, er ist noch nicht lange Oberarzt bei uns, ist noch ziemlich jung, so um 40 glaube ich, und ich kenne ihn noch nicht besonders gut. Er scheint sehr nett zu sein, was ich bisher so sagen kann. Trotzdem weiß ich nicht, ob ich das wirklich machen kann, ihm was erzählen. Gut, er weiß inzwischen wahrscheinlich einiges über mich, als es die Probleme gab, habe ich anderen einiges erzählt, leider viel zu viel, weil ich ziemlich durch den Wind war. Und ich vermute, ja eigentlich bin ich ziemlich sicher, dass auch ihm zumindest ein Teil davon erzählt wurde. Denn auch eine andere Ärztin wusste was, die an dem Tag eigentlich gar nichts damit zu tun hatte.
Und was bringt es denn auch, wenn ich jemandem die Ohren volljammere, wie besch........alles ist? Das nervt nur und ändert ja auch nichts, ich habe in meiner "Familie " auch gelernt, dass jeder selbst sehen muss, wie er klar kommt. Und es ist ja nun mal auch so, dass die Ärzte, erst recht wahrscheinlich ein Oberarzt, schon mehr als genug zu tun haben. Da käme es mir nicht richtig vor, jemanden auch noch mit meinem Mist zu belästigen. Aber es ist doch gut, dass ich hier mal was loswerden konnte. So viele Menschen die gegangen sind. Nur ich bin noch übrig. Sie wollten alle noch leben, hatten noch was vor. Warum bin ich übrig?