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Wieder mal jemand gegangen 26 Jul 2024 20:00 #525725

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Heute Vormittag ist bei der Dialyse jemand in meinem Raum gestorben :(. Ich kannte ihn nicht, ich gehe in einem Krankenhaus zur Dialyse, er kam von der Station. Ein älterer Mann, wahrscheinlich schon um die 80,vermute ich. Er hatte heute seine erste Dialyse, nur 2 Stunden. Die Schwester war gerade fertig mit ausbinden bei ihm, da war er wohl plötzlich weg. Sie rief ihn mehrmals, gab ihm leichte Klapse auf die Wangen, rief laut, sie braucht Hilfe. 2 andere Schwestern kamen angelaufen, eine brachte so ein Gerät mit, zum Wiederbeleben, glaube ich. Die Schwester hat Herzdruckmassage gemacht, dann wurden die Stellwände um das Bett gestellt, die Ärztin kam, und ich habe gehört, dass sie gesagt hat, der Patient wollte keine Maßnahmen. Da mussten sie aufhören. Ein paar Minuten später wurde er rausgefahren.
Ich habe sowas schon so oft erlebt, bin ja schon 32 Jahre an der Dialyse. So viele Menschen, die ich gekannt habe und so einige, die ich gerne gemocht habe. Vor ungefähr 4 Wochen ist auch ein Patient aus meinem Raum gestorben, ganz unerwartet, aber nicht bei der Dialyse. Er war Ende 70, aber noch sehr fit. Er wollte transplantiert werden, die Vorbereitungen waren im Gang. Als er morgens nicht kam, hat sich zuerst niemand gewundert, denn an dem Tag sollte vor der Dialyse sein Shunt mit Ultraschall untersucht werden, und der Arzt, der das bei uns macht, kommt noch nicht um 7. Aber als er dann gar nicht aufgetaucht ist, haben die Schwestern natürlich nachgeforscht. Er war gestorben, nachts oder am frühen Morgen, das weiß ich nicht genau. Ich kannte ihn einige Jahre, als wir zusammen in Corona Quarantäne waren, haben wir uns auch unterhalten. Auch die Schwestern und die Ärztin waren geschockt. Aber wenigstens hat man uns Bescheid gesagt, wir hatten auch mal vor vielen Jahren eine Oberärztin, die der Meinung war, das dürfte man den anderen Patienten nicht sagen wegen Datenschutz. Die Schwestern fanden das auch nicht gut, mussten sich aber daran halten.
Natürlich, wir sind alle schwer krank, mit sowas muss man immer rechnen. Aber ich muss dann immer an all die vielen Menschen denken, die alle schon lange nicht mehr da sind. Und es ist bei jedem, als wäre es erst gestern passiert. Außer mir ist bei uns keiner länger da, nur ich bin noch übrig. Warum bin ausgerechnet ich noch übrig? Ich habe niemanden, mit dem ich darüber reden kann. Meine Mutter interessiert es nicht. Und meiner Freundin möchte ich es nicht schreiben, denn ihre Mutter ist auch an der Dialyse gestorben. Das heißt, sie hatte während der Dialyse beim Frühstück einen schweren Schlaganfall. Sie hat neben mir gelegen. Von meiner Freundin weiß ich, dass sie noch ein paar Tage auf der Intensivstation gelegen hat, aber nicht mehr aufgewacht ist. Das ist schon über 20 Jahre her, aber trotzdem möchte ich meiner Freundin nichts davon erzählen.
Kurz nachdem das heute passiert ist, kam der neue Oberarzt, und hat jeden gefragt, wie es ihm geht, wir sind noch 4. Er hat gesagt, wenn was ist, können wir jederzeit zu ihm kommen. Das hat er mir in letzter Zeit auch schon oft gesagt, weil es vor einigen Wochen bei mir große Probleme gab, und ich bin mir eigentlich auch sicher, dass er das ehrlich gemeint hat. Aber ich weiß nicht.....wie gesagt, er ist noch nicht lange Oberarzt bei uns, ist noch ziemlich jung, so um 40 glaube ich, und ich kenne ihn noch nicht besonders gut. Er scheint sehr nett zu sein, was ich bisher so sagen kann. Trotzdem weiß ich nicht, ob ich das wirklich machen kann, ihm was erzählen. Gut, er weiß inzwischen wahrscheinlich einiges über mich, als es die Probleme gab, habe ich anderen einiges erzählt, leider viel zu viel, weil ich ziemlich durch den Wind war. Und ich vermute, ja eigentlich bin ich ziemlich sicher, dass auch ihm zumindest ein Teil davon erzählt wurde. Denn auch eine andere Ärztin wusste was, die an dem Tag eigentlich gar nichts damit zu tun hatte.
Und was bringt es denn auch, wenn ich jemandem die Ohren volljammere, wie besch........alles ist? Das nervt nur und ändert ja auch nichts, ich habe in meiner "Familie " auch gelernt, dass jeder selbst sehen muss, wie er klar kommt. Und es ist ja nun mal auch so, dass die Ärzte, erst recht wahrscheinlich ein Oberarzt, schon mehr als genug zu tun haben. Da käme es mir nicht richtig vor, jemanden auch noch mit meinem Mist zu belästigen. Aber es ist doch gut, dass ich hier mal was loswerden konnte. So viele Menschen die gegangen sind. Nur ich bin noch übrig. Sie wollten alle noch leben, hatten noch was vor. Warum bin ich übrig? :schäm:

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Wieder mal jemand gegangen 27 Jul 2024 11:05 #525729

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Ach Hachiko,

ich würd mir ja nen Psychologen suchen und dort dein Mitteilungsbedürfnis in voller Länge rauslassen, weil da verlässt nichts den Raum und wenn man nicht mehr will muss man nicht mehr hin, oder wenn die Situation mit der Zeit unangenehm wird.
Ich war ja vor 6 Jahren in die Frühschicht in ein anderes Spital gewechselt. Ein 6er Zimmer. Ich kannte die Namen von allen. Allen die damals da waren, allen die neue Stamm-Bettnachbarn geworden sind. Von den ursprünglichen 6 inklusive mir ist nurnoch einer übrig. Und jede Dialyse in der Frühschicht suchen meine Augen nach ihm, ob er noch da ist. Weil sein Leben manchmal das einzige ist was mich Psychisch noch auf den Boden ankert und davon abhällt komplett durchzudrehen.
Durch den Krankentransport weiß ich auch von vielen Patienten wo sie wohnen, wie sie leben, wer auf sie wartet und sie in Empfang nimmt wenn sie nachhause kommen.
Eine über 80 jährige Patientin fällt mir da ein mit der ich lange am Krankentransport gemeinsam war, die immer von ihrem Ehemann am Gartentor abgeholt wurde, er meistens in bunten Boxershorts.
Für den muss eine Welt zusammengebrochen sein.
Oder beim Friedrich warten immer seine zwei Katzen auf ihn.
Soviele Menschen und ihre Geschichten. Und immer wenn jemand von der Dialyse stirbt wird der Schmerz den ich in der Seele hab nur größer und der alte Schmerz über den Verlust von früheren Patienten kommt wieder hoch.

Auch so ein Grund wieso ich in die Nachtschicht wechsel. Meine Angst den Friedrich zu verlieren ist schwerer zu ertragen als einfach zu gehen. Und dann sind da noch die zwei Alex in meinem Raum die mir beide ans Herz gewachsen sind.

lg
Chris

P.S.
Ironischerweise kenne ich auch die Patientin die vorher meinen Platz in der Frühschicht hatte, die kannte ich vom Krankentransport und die wohnt in meiner Straße paar Häuser weiter, die wurde transplantiert.

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Wieder mal jemand gegangen 27 Jul 2024 14:47 #525731

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Hallo Christian!
Vielen Dank für Deine Antwort! Aber Psychologen und sowas sind überhaupt nicht mein Fall. Ich habe als Kind ziemlich schlechte Erfahrungen mit solchen Leuten gemacht. Und vor ca 15 Jahren war ich mal für 3 Wochen auf einer psychiatrischen Station, grauenvoll was da abging. Mal ganz davon abgesehen, dass es ewig lange Wartezeiten hier gibt, bis man mal einen Termin bekommt. Wenn man überhaupt einen bekommt. Und wenn man Pech hat, kommt man mit dem Psychologen/der Psychologin dann nicht klar. Ich mußte das einfach mal loswerden, manchmal wird mir einfach alles zuviel. Ist ja nicht nur die Dialyse, auch bei mir zu Hause gibt es nur Probleme, wohin man auch guckt. Aber heute geht es mir auch schon wieder besser. Solche Phasen kennt wahrscheinlich jeder. Und jetzt bin ich gerade mit dem Fahrrad unterwegs und genieße das Wetter und das Fahren :: . Aber es tut doch mal gut, wenn man ab und zu was loswerden kann.
Viele Grüße von Hachiko, und weiterhin alles Gute! :regenbogen:

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Wieder mal jemand gegangen 27 Jul 2024 17:38 #525732

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Lieber Hachiko
Meine Schwester hat mir während ihrer Dialysezeit auch öfters erzählt, dass wieder jemand gestorben sei. An der Dialyse selbst ist es nie passiert - so etwas trifft einen natürlich umso schwerer. Ich finde es wichtig, dass das Reden über den Tod von Menschen, die man während der Dialysezeit mehr oder weniger gut kennen gelernt hat, kein striktes Tabu ist. Trotz Datenschutz. An der Dialyse meiner Schwester wurde jeweils eine Kerze aufgestellt mit einer Karte. Man erfuhr den Namen und wer darüber reden wollte, tat das, natürlich ohne mehr Details über den Patienten zu erfahren, als man schon kannte.
Liebe Grüsse Kohana

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Wieder mal jemand gegangen 28 Jul 2024 08:13 #525734

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Hallo Kohana!
Jetzt ist es bei uns ja auch schon lange wieder so, dass uns gesagt wird, wenn jemand gestorben ist. Das war nur die eine Oberärztin damals, aber das war vor ungefähr 20 Jahren, die Ärztin ist längst nicht mehr bei uns. Inzwischen sind wir schon 4 oder 5 Oberärzte weiter :lach:. Ich habe auch mit einer Schwester darüber gesprochen, als ich vor ca 4 Wochen erfahren habe, dass der Patient aus unserem Raum gestorben war. Daher weiß ich ja auch, dass es auch für die Schwestern ein Schock war. Bei den Patienten aus anderen Räumen wird uns aber nichts gesagt, weil wir die ja gar nicht kennen. Und das finde ich auch in Ordnung so. Die Oberärztin damals war auch die Einzige, die dieser Meinung war, das gab es sonst weder davor noch danach noch mal. Wie ich schon geschrieben habe, natürlich muss man bei uns immer damit rechnen, schließlich sind wir alle schwer krank, die meisten Patienten sind schon recht alt und die meisten haben wohl auch noch andere Probleme. Aber natürlich ist es trotzdem immer sehr traurig. Aber es geht bei mir schon wieder besser, manchmal wird es mir eben alles ein bisschen viel, wenn noch irgendwas oben drauf kommt, weil ich eben schon so viele Probleme an allen Ecken habe, an denen man leider auch nicht das Geringste ändern kann.
Übrigens bin ich eine "sie" :) .
Viele Grüße und einen schönen Tag! :regenbogen:

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Hi :)

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